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Bewusster leben – achtsam essen: Was zählt, ist, dass Sie sich wohlfühlen

achtsam essen

Was ist achtsames Essen?

Die Methode der Achtsamkeit hat ihren Ursprung in der buddhistischen Lehre. Im Kern geht es um die Wahrnehmung des gegenwärtigen Moments. Ende der 1970er Jahre wurde das Konzept der Achtsamkeit von dem US-Amerikaner Jon Kabat-Zinn in einem Programm neu aufbereitet und in der westlichen Welt populär gemacht. Durch die Mindfulness-Based-Stress-Reduction (Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion) soll der Alltag mit all seinen Augenblicken bewusst wahrgenommen werden, ohne zu urteilen:

„Achtsames Essen bedeutet, sich erst einmal bewusst machen, wann und warum gegessen wird, ohne vorschnell etwas ändern zu wollen. Man lernt, mit sich achtsamer zu sein und zu erkennen, wann Spannungen da sind und diese Zustände auch zu akzeptieren.“

 

– Marlies Sonnentag

Im Fokus des achtsamen Essens steht weder das Kalorienzählen noch die Nahrungsmittelrestriktion, sondern das genaue Beobachten des eigenen Essverhaltens.

„Wir hören und lesen ständig, was gesund ist und was nicht. Dem können wir uns heute kaum noch entziehen: keine Kohlenhydrate am Abend, möglichst wenig Fett, wenige Eier. Nicht nur, dass diese Empfehlungen oft nach einiger Zeit widerlegt werden: Über all das, was wir essen sollten und was nicht, haben wir unser natürliches Gespür dafür verloren, was unserem Körper gut tut und was nicht. Unser Körper weiß mehr, als wir glauben. Übergewichtige sind leider immer noch mit direkten und versteckten Diskriminierungen konfrontiert, von der idealisierten Werbung ganz abgesehen. Da muss man schon ein gutes Selbstbewusstsein haben, um dieses Vertrauen in den eigenen Körper zu haben. Achtsames Essen schafft genau das, ein „sich selbst bewusst sein.“

 

– Elke Scheffer

Manchmal meldet sich der Hunger besonders lautstark, aber warum?

Manchmal meldet sich der Hunger besonders lautstark, aber warum?

7 Arten von Hunger

Beim achtsamen Essen geht es nicht darum, was gegessen wird, sondern wie gegessen wird.   Warum essen Sie? Aus Langeweile? Weil der Magen knurrt? Oder weil das Stück Kuchen einfach so appetitlich aussieht? Genauso wie es nicht nur einen Geschmack gibt, gibt es auch nicht nur einen Hunger. Nach Jan Chozen Bays steuern sieben Hungerarten unser Essverhalten. Zu wissen, warum sich der Hunger einstellt, schult die eigene Körper-Wahrnehmung und kann negative Essgewohnheiten bekämpfen.

Eigene Darstellung, Quelle

Das PDF  „7 Arten von Hunger“ können Sie hier downloaden.

„Meine Erfahrung ist häufig, dass sich die Menschen noch gar nicht so klar gemacht haben, welche Speisen sie besonders gerne essen. Manchmal können uns die Nahrungsmittel, die uns als Kind getröstet haben auch als Erwachsener gut tun, wenn wir uns zugestehen, sie auch wirklich zu genießen und nicht mit schlechtem Gewissen hinunterzuschlingen. Dazu müssen Sie mit allen Sinnen dabei sein und sich eben nur auf das Essen konzentrieren. Beim Trainieren der Achtsamkeit übt man, „nur“ zu essen und dadurch auch das Genießen.“

 

– Marlies Sonnentag

Esse ich, weil alle anderen essen, oder schmeckt es mir gerade wirklich gut?

Esse ich, weil alle anderen essen, oder schmeckt es mir gerade wirklich gut?

Die Vorteile der Achtsamkeitsmethode

Mehr Achtsamkeit heißt, seinen Körper besser wahrzunehmen und keine negativen Attribute auf ihn zu projizieren. Es geht nicht darum, anderen zu gefallen oder in ein bestimmtes Schema zu passen, sondern für sich selber zu merken, was einem gut tut und wann man sich wohlfühlt.

„Achtsam zu essen, ist für jeden Menschen geeignet. Bei Menschen mit Übergewicht hat es den schönen „Nebeneffekt“, dass sich auf diese Weise das Gewicht auf natürliche Weise reguliert, d. h. nicht, dass Sie so zu Ihrem Traum- oder Idealgewicht kommen, sondern Sie finden Ihr Wohlfühlgewicht. Und darum geht es letztendlich: Wir wollen ja nicht wirklich „ideal“ sein, wir wollen uns wohlfühlen. Selbst wenn Essstörungen vorliegen, können diese durch achtsames Essen meist „positiv“ beeinflusst werden. Allerdings würde ich hier immer auch eine therapeutische Begleitung empfehlen.“

 

– Elke Scheffer

Nicht selten führen innere Anspannung und Stress zu Heißhungerattacken. Aber auch das selbst auferlegte Verbot eines Nahrungsmittels kann zur Folge haben, dass zwar nachmittags erst der „gute“ Apfel gegessen wird, die Lust auf Süßes aber nicht verschwindet und so abends wahllos Schokolade schnell und mit Scham verschlungen wird. Das Ziel der Achtsamkeitsmethode ist es, den Teufelskreis aus selbst auferlegter Disziplin und Scham zu durchbrechen und zu merken, was einem wirklich gut tut. Manchmal kann das auch eine kleine Tüte Bonbons sein:

„Eine meiner Patientinnen mit erheblichen Essstörungen hat durch das Wahrnehmen und Analysieren ihrer Essenswünsche festgestellt, dass sie eine ganz bestimmte Sorte Bonbons aus ihrer Kindheit tröstet. Und sie hat gemerkt: Das Kaufen und genießen einer kleinen Portion macht sie dabei viel glücklicher als das Verschlingen einer großen Tüte Gummibärchen.”

 

– Marlies Sonnentag

Schnell nebenbei das Essen verschlingen. Das macht weder satt, noch fühlt man sich wohl.

Schnell nebenbei das Essen verschlingen. Das macht weder satt, noch fühlt man sich wohl.

Achtsam essen: Tipps für den Einstieg

 

Es ist nicht einfach, die alltägliche Routine zu verändern. Wichtig bei der Umstellung auf ein achtsameres Essverhalten ist vor allem, Zeit mitzubringen und sich langsam umzugewöhnen.

„Es gibt an sich keine Gefahren bei der Umstellung auf achtsames Essen, außer, dass man zu ungeduldig mit sich ist und zu viel in kurzer Zeit ändern will. Hilfreich ist es, sich in kleinen Schritten umzugewöhnen. Versuchen Sie zum Beispiel am Anfang, nur 10 Minuten pro Tag etwas achtsam zu essen. Die zweite „Gefahr“ ist, dass man beim achtsamen Essen zu früh und zu schnell aufs Gewicht schaut. Wer die Achtsamkeitsmethode dazu nutzen möchte, um sehr schnell das Gewicht zu verändern, wird meistens enttäuscht. Denn im Fokus steht nicht die Gewichtsreduktion, sondern das „Projekt Gesundheit.“

 

– Marlies Sonnentag

Die Achtsamkeitsmethode ist keine Anleitung, mit der man es in 10 Schritten zur „Perfektion“ schafft, sondern ein individuelles Programm. Dabei bedarf es vor allem Mitgefühl für die eigenen Schwächen und einen realistischen Blick auf die Fortschritte.

„Die größte Schwierigkeit ist wohl, dass wir denken, ab heute wird alles anders. Wir sind Menschen und keine Maschinen, bei denen wir einen Schalter umlegen, um das Programm zu ändern. Gewohnheiten haben wir uns über Jahre „antrainiert“, es braucht also ein wenig Zeit wieder andere Wege zu gehen.

 

Vielleicht ist gerade die Anfangsphase bei der Umstellung auf „achtsames Essen“ etwas schwieriger als bei klassischen Diäten, weil es weniger klare Vorgaben gibt, was man Essen soll und was nicht. Vorgaben machen es leichter, weil sie Eigeninitiative und Verantwortung abnehmen, allerdings tritt auch keine Verhaltensänderung ein. Dann kommt es zum Jo-Jo-Effekt, wenn wir diese Vorgaben im wahrsten Sinne des Wortes satt haben.

Für das Gelingen braucht es einen freundlichen und geduldigen Umgang mit uns selbst, insbesondere, wenn wir meinen, mal wieder „versagt“ zu haben oder rückfällig geworden zu sein. Es gibt einige hilfreiche Bücher:

  • Jan Chozen Bays: „Achtsam Essen“ > eine Art Standardwerk mit vielen Übungen
  • Achim Peters: „Mythos Übergewicht – Warum dicke Menschen länger leben“ > Der Internist und Hirnforscher räumt mit vielen gängigen Vorurteilen auf und erklärt, wieso Dünne oder Normalgewichtige häufiger an Herzinfarkt oder Schlaganfall sterben.
  • Ronald Schweppe, Aljoscha Long: „Die Minus-1 Diät“ > enthält einiges an Grundwissen und gibt Anregungen und Übungsvorlagen, um einmal eine Woche auf etwas zu verzichten: ein hilfreicher Weg, um wieder zu spüren, was gut tut und was nicht.
  • Antonie Danz: „Wie bewusste Ernährung Ihren Geist beeinflusst“ > ein kleines, feines Buch über Essen und Wohlsein, Selbstvertrauen und Wertschätzung.

Für manche Menschen ist auch die vorübergehende Begleitung durch einen Ernährungsberater oder Therapeuten sinnvoll.“

– Elke Scheffer

Achtsamkeit üben: einfach mal eine Rosine ganz langsam essen.

Achtsamkeit üben: einfach mal eine Rosine ganz langsam essen.

Kleine Übungen für die Achtsamkeit

Es ist nicht schwer, Achtsamkeit in den Alltag einzubauen. Dazu müssen Sie nur innehalten, in sich hinein horchen und vielleicht einfach eine Rosine ganz genau betrachten:

„Finden Sie heraus, wo Sie Achtsamkeit generell trainieren können. Wo kann ich trainieren, mich selbst zu spüren? Wie kann ich trainieren, mich gut zu entspannen? Und wie kann ich die Aufmerksamkeit auf das richten, was im Augenblick ist? Eine klassische Übung im Achtsamkeitstraining ist das langsame Essen einer Rosine. Man betrachtet die Rosine, man prüft den Duft der Rosine, man fasst die Rosine an, man befühlt die Rosine mit der Zunge, man kaut die Rosine. Damit der Geschmack wirklich völlig ausgekostet werden kann, dauert diese Übung mehrere Minuten.“

 

– Marlies Sonnentag

Statt das Essen zu verschlingen, lohnt es sich, etwas genauer auf die Mechanismen des Kauens und Schluckens zu achten:

„Einfach mal das Besteck oder Brot ablegen, wenn der erste Bissen im Mund verschwunden ist und beobachten, was dann passiert. Spüre ich, wie ich gerade esse – Geschmack, Temperatur, Konsistenz? Was macht mein Geist gerade? Das ist einfach, doch nicht leicht. Meist bemerken wir, dass wir mit unseren Gedanken schon wenige Augenblicke später woanders sind. Essen geschieht meist nebenbei: vor dem Fernseher, weil wir gerade etwas sehen oder riechen oder weil wir uns gerade ärgern oder gestresst sind. Selbst wenn wir uns zum Essen an den Tisch setzen, sind unsere Gedanken woanders, beispielsweise bei dem, was als nächstes ansteht. Natürlich können wir nicht jeden Bissen bei jeder Mahlzeit aufmerksam essen. Ich empfehle deshalb, die ersten drei Bissen ganz bewusst zu essen und sanft und bestimmt zurückzukehren, wenn der Geist unseren Gedanken gefolgt ist. Es lohnt sich auch einmal zu schauen, nach wie viel Mal kauen der erste Schluckreflex einsetzt. In meinen Einzelcoachings und Unternehmensworkshops ist das im Schnitt 4 – 6 Mal. Da braucht es natürlich mehr Essen, um satt zu werden. Es geht nicht darum, beim Kauen zu zählen. Hinschmecken reicht oft schon, um das Bewusstsein zu verändern.“

 

– Elke Scheffer

Wir hoffen, dass Sie einige interessante Informationen über die Achtsamkeitsmethode erfahren konnten und bedanken uns bei Elke Scheffer und Marlies Sonnentag für die Interviews. Passende Achtsamkeits-Kurse in Ihrer Nähe und noch mehr Informationen zur Achtsamkeitsmethode finden Sie auf der Webseite des MBSR-MBCT Verbands: www.mbsr-verband.de.

Elke Scheffer
Elke SchefferElke Scheffer ist Diplom-Ernährungswissenschaftlerin und Lehrerin für Stressbewältigung durch Achtsamkeit (MBSR). In ihren Seminaren und Beratungen geht es vor allem darum, nicht genutzte Ressourcen im Alltag zu entdecken und mit mehr Achtsamkeit positive Veränderungen herbei zu führen. Sie ist Mitglied im MBSR-MBCT Verband. Mehr Informationen zu Elke Scheffer und eine Übersicht über Ihre Kurse finden Sie auf ihrer Webseite www.elke-scheffer.de.
Marlies Sonnentag
Marlies-SonnentagMarlies Sonnentag ist nach ihrem Studium als Lehrerin und als Heilpraktikerin tätig. Seit 1983 führt sie eine Praxis mit dem Schwerpunkt Traditionelle Chinesische Medizin und widmet sich nach Weiterbildungen im Bereich „Stressbewältigung durch Achtsamkeit“ und „Achtsamkeitsbasierte Kognitive Therapie“ verstärkt dem Themengebiet der Achtsamkeit. Als Mitglied im MBSR-MBCT Verband bietet sie eine Vielzahl an Kursen und Coachings zum Thema Achtsamkeit und Achtsam Essen an. Mehr Informationen zu Marlies Sonnentag finden Sie auf ihrer Webseite www.stressbewaeltigung-und-gesundheit.de.

 

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